Bei der Einteilung spürte ich überdeutlich: Ich bin alt geworden. Denn ich wurde nicht berufen. In keine einzige Gruppe! Klar, es lag auf der Hand – wer denkt bei Tempoläufen schon an den Busfahrer?

Der Lauf, eine Legende. Keine Anmeldung, keine vermessene Strecke, kein Start- und Zielgedöns. Ich spreche vom Osterlauf im Trainingslager in Cervia in Italien. Ein Trainingslauf und doch viel mehr. Eine Vielzahl von Vereinen aus Süddeutschland schlägt seit Jahren über Ostern in dem kleinen Ort zwischen Rimini und Ravenna ihre Zelte auf. Läufergruppen von 20 bis 50 Leuten pro Verein arbeiten dort am Feinschliff für die Sommersaison. Am Ostersonntag treffen sich jedes Jahr alle Läufer aus allen Vereinen zum langen Dauerlauf. Über 200 junge Athleten. Ein wilder, kunterbunter Haufen. 15, 18, 20 oder 25 Kilometer. Einfach sagenhaft.

Ich war auch dieses Jahr dort – aber natürlich nicht zum Trainieren. Ich war der Busfahrer. Mein Verein, die LAV Stadtwerke Tübingen,  war mit 58 jungen Menschen dort, und irgendwie mussten die ja dort hinkommen. Um die 10 tägige Zwischenzeit von An- und Abfahrt sinnvoll zu nutzen, bin ich dann einfach täglich mitgelaufen. Einfach war es natürlich nicht, denn diese jungen Leute können was, und ich werde auch nicht jünger. Sehr deutlich merkte ich das bei den Tempoläufen. Nicht nur wegen des Tempos, sondern schon bei der Gruppeneinteilung. 8×1000 Meter stand auf dem Programm. Auf einem breiten Waldweg. 1000 Meter hin, 1000 Meter zurück. Zusammen mit einigen jungen Läuferinnen aus München und den berühmten „Running Gags“ aus Erlangen (einfach mal googeln) waren wir 80 Läufer. Daher mussten 6 Gruppen gebildet werden. 

Namentlich wurden wir in die jeweiligen Gruppen berufen. (Ja, berufen!) „Thorwirth: Eins!“ – „Brehm! Eins!“ – „vom Hagen! Zwei!“ – „Klein! zwei!“ So ging das und als die Einteilung beendet war, spürte ich überdeutlich: ich bin alt geworden.  Denn ich wurde nicht berufen. In keine einzige Gruppe. Nicht berufen! Klar, es lag auf der Hand, wer denkt bei Tempoläufen an den Busfahrer. Doch ich ließ mich dadurch überhaupt nicht irritieren. Ganz im Stile Günther Netzers, der sich bei der EM 72 einmal selbst in die Fußballnationalelf eingewechselte, habe ich mich selbst berufen. Gruppe fünf. Scharfer Start 11 Uhr. 

Und eines kann ich sagen, wir waren eine super Gruppe. Nach zwei Läufen hatten wir uns gefunden. Start. Eine junge 800 Meter Läuferin sprintet mit kurzem Antritt an die Spitze, nach zweihundert Meter stürmte ein junger Kerl laut schnaufend an ihre vorbei, sie blieb dicht dahinter, umrahmt von vier weiteren jungen Läuferinnen. Auf den letzten 100 Meter schoben sie sich an seine Schulter und trieben ihn neben sich her. Alle anderen liefen dicht dahinter. Gerollt natürlich. Und ich? Hing am seidenen Faden dieser Gruppe. Vom ersten Schritt an. Ich wußte, das wird heute eng. 

Der Vorteil  in so einem Trainingslager ist, dass man die Gruppen wechseln kann. Es passiert immer wieder, dass der Coach auf einen Läufer, der in Gruppe zwei gelaufen ist, in der Pause zugeht und sagt: „Nächster Lauf in eins“. Verstehen Sie, was das bedeutet? „Nächster Lauf in eins“. Das ist wie eine Beförderung, wie eine Gehaltserhöhung. Noch Jahre später wird er davon berichten. „Und dann sagte der Coach: `Nächster Lauf in eins´. Stellt euch das vor. In Eins!“  So berauschend dieser Satz wirken kann, umgekehrt ist das nicht so. „Geh mal besser in sechs“. Noch schlimmer wird es, wenn es gar keiner sagen muss, wenn man das spürt: Besser wäre sechs. Aber ich wollte nicht. Gruppe sechs. Die letzte Gruppe. So hing ich sechs Läufe am seidenen Faden. Beim siebten ist er dann gerissen. Es musste so kommen. Raus nach 360 Meter.

Beim legendären langen Dauerlauf machte ich es besser und lief in Gruppe sieben, 12 Kilometer im sechster Schnitt. Allein. So langsam kann von denen keiner.