Dieter Baumann trifft seinem alten Schulfreund Günni und bewundert seine neuen Schuhen. Dabei hat er seine Zweifel was die neue Generation der Super-Laufschuhe so leisten können. Ihren Trägern traut er natürlich alles zu.
Neulich kam mir mein alter Schulfreund Günni im Wald entgegen. Nachdem wir uns irgendwann mal wieder getroffen hatten, hat er tatsächlich mit dem Laufen angefangen. Bei einem der vielen Laufeinsteigertage, die wir in jedem Jahr vor dem Tübinger Erbe Lauf anboten, stand er plötzlich vor mir. Und was soll ich sagen? Er hat es geschafft. Zehn Kilometer am Stück. Das ist ein wenig verrückt, denn Günni war in seiner Jugend nicht nur berühmt für seine Sprünge vom Dreimeterbrett (siehe vorherige Kolumnen), er war auch einer der besten Handballer des TV Gerhausen (in meiner Heimatregion eine Handball-Macht). Doch Handballer, so meine Erfahrung, mögen unsere Sportart nicht. „Nenne mir einen vernünftigen Grund, warum ich laufen soll“, sagte Günni damals zu mir. Und die wenigen Male, die wir gemeinsam gelaufen sind, glich das eher einem Rumpeln und Poltern. Ja, Günni bebte durch den Wald.
Jetzt stand er also vor wenigen Wochen vor mir, reckte mir sein Bein entgegen, sagte: „Habe ich mir gestern gekauft!“ und zeigte auf seine neuen Schuhe. „Kennst du ja nicht, Schuhe kaufen.“ Er lachte laut: „Im Herbst laufe ich Marathon.“ Er tänzelte um mich herum, damit ich den Schuh auch wirklich von allen Seiten bewundern konnte. Ich war baff. An seinem Fuß klebte ein Racing-what-ever-Carbon-Katapult. Gemacht für 60-Kilo-Läufer. Aber ich sage mal sehr vorsichtig: Handballer bleiben Handballer, sie sind groß und sie sind schwer. Auch im Alter. Damit bin ich bei den Carbon-Katapulten, die Günnis Füße schmückten. „Was willst du denn laufen?“, fragte ich. „Weltrekord?“ „Na ja, unter vier Stunden.“ Mit dieser Antwort zog er mich in seine Laufrichtung und wir liefen ein kleines Stück gemeinsam durch den Wald. Erst nach einigen Metern fiel mir auf, dass er ganz anders lief. Es erinnerte mich ein wenig an seine Jugendzeit. Doch wirklich, kein Witz, er lief so federnd durch den Wald, wie es damals seine Sprünge vom Dreimeterbrett im Blaubeurer Freibad waren. Dabei beschrieb er mir, welcher Einfluss der Schuh auf seinen Laufstil habe. „Schau hin, wie ich da einen Vortrieb bekomme. Nur durch den Schuh. Wahnsinn.“ Ich schaute hin und sah … nichts! Sagte aber: „Toll.“„Da lauf ich mindestens 10 Sekunden schneller pro Kilometer“, er schaute mich gespannt an. Ich sagte: „Mindestens …“
In Wahrheit ist das Quatsch. Bei geringer Laufgeschwindigkeit bringt der Schuh nichts. Mit etwas Pech stellen sich Knochenödeme an der Hüfte, am Hintern oder an der Sohle ein, die dann zu einer Laufpause führen. Vor vielen Jahrzehnten gab es Laufschuhe mit der Grundidee, Verletzungen vorzubeugen. Die Schuhe sollten das Aufkommen der Füße auf den Boden dämpfen und gleichzeitig dem Fuß eine Führung im Bewegungsablauf bieten. Dann kam die Revolution, keine Führung, keine Dämpfung mehr. Das sollte der Fuß selbst lernen. Der Schuh als Trainingsgerät. Der Körper sollte durch fehlende Technik im Schuh die degenerierte Muskulatur der Füße wieder in steinzeitliche Bestform bringen („free running“). In vollkommener Reinform wurde daraus Barfußlaufen. Zwischen Boden und Knochen war nur noch die Haut. Nach der Episode des „freien Laufens“ sind wir nun im Carbonzeitalter. Die Grundidee diesmal: Bestzeiten. Der Sohlenaufbau wuchs von null auf fünf Zentimeter, die entweder mit Carbonfedern ausgestattet sind, die unsere Hüften und Knie zerschießen, oder mit so viel Weichmacher aufgefüllt sind, dass sich das Laufen wie auf dem Sofa anfühlt. Frage am Rande: Möchtest du Marathon auf einem Sofa laufen? Und Günni? Im Startblock der Vier-Stunden-Läufer gaukelt ihm und den anderen der Carbon-Katapult-Schuh eine Art (Leistungs)Sportlichkeit vor. Auch das hilft. Der Kopf läuft schließlich mit.
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