Vor mir machten sich zwei ältere Herren auf E-Bikes bereit. „Was?“, rief ich empört. Einer wackelte an seinem künstlichen Gebiss und meinte: „Bei unserer Schadensklasse dürfen wir das.“
Ein Sommer auf den Rennrad. So herrlich das ist, aber jetzt mal unter uns: Laufen wäre schöner. Kurz gesagt: Auch ich bin gegen gewisse Motivationsschwankungen nicht gefeit. Keine Partner, keine regionalen Radrennen, was also tun? Da kam mir der Stoppomat in Pfullingen (genauer: in Unterhausen) in den Sinn. Das Gerät steht am Einstieg einer Steige hinauf auf die Schwäbische Alb, oben steht der zweite Stoppomat. Einstempeln, ausstempeln und schon spielt man mit. Nachdem ich im Internet (stoppomat.de) die Liste mit den Bestzeiten entdeckte hatte, saß ich schon am nächsten Tag auf dem Fahrrad. Einzel-Berg-Zeit-Fahren – genau mein Ding! Die Bestzeit knack ich doch locker. Stoppomat, das klang wie Abenteuer.
Ich fuhr nach Dusslingen, Gomaringen, Bronnweiler, an Pfullingen vorbei in Richtung Stoppomat. Durch Lichtenstein, weiter nach Unterhausen – Stoppomat – (Ich, der Berg und Stoppomat. Wunderbar). Beim Einstieg der Steige dann die Überraschung. Ausgerechnet an diesem Tag veranstaltet der Radsportverein Pfullingen ein Bergzeitfahren für einen guten Zweck. Das Kampfgericht saß aufgereiht auf der Höhe des Stoppomates, drum herum drei, vier Radsportler in bunten Trikots. Ein Wettkampf! Sofort war ich auf 180. (Das ist was Gutes)
Von oben rauschten zwei Radler heran. „Wollte ihr nochmal“, fragte das Kampfgericht. „Nein, die Zeit steht“, sie winkten ab. „Wie sieht es denn oben im Ziel aus?“, wollte ich wissen. „Oben ist der Wahnsinn. Bühne, Musikverein, Bier und Wurstverkauf. Sogar der Landrat ist da!“ Ich bezahlte mein Startgeld, bekam eine Stempelkarte und wartet auf meinen Start. Vor mir machten sich zwei ältere Herren bereit. „Was?“, rief ich empört, als ich die E-Bikes sah. Einer wackelte emotionslos an seinem künstlichen Gebiss und meinte: „Bei der Schadensklasse dürfen wir das.“
Wieder kamen zwei vom Berg zurück. „Wir fahren nochmal“. Die zwei E-Biker waren schon losgeradelt. Jetzt war mein Start. Einzel-Berg-Zeit-Fahren. Das Ding gewinn ich! Ein Kampfrichter nahm mir die Stempelkarte ab. Ich ging in meine Klickpedale. Er stempelte ab, steckte mir die Karte in die Rückentasche und schob mich unter lautem Johlen und Klatschen an.
Wettkampfstimmung. Die Bestmarke in 2023 lag laut Internet bei 12 Minuten irgendwas. Nach nur vier Minuten sah ich die zwei E-Biker. Die rollte ich so was von auf. Alter hin, Gebiss her, heute war ich saustark. Plötzlich ein Surren von hinten. Der Rennradler, der schon ein zweites Mal hoch fuhr, zog von hinten an mir vorbei. Ich reagiert sofort: zweimal runtergeschaltet, aus dem Sattel. Mit-Mit-Mit! Doch ich hatte keine Chance. Der flog den Berg geradezu hoch. Keine Sekunde konnte ich mithalten. In meinen Oberschenkeln wurde der Sauerstoff knapp. (So etwas spüre ich). Ich versuchte mit Schnappatmung dagegen zu halten. Schwierig. 12 Minuten waren doch schon rum. Jetzt musste ich doch gleich oben sein!
Hohe Trittfrequenz, kleinerer Gang. Auch Schnappatmung hat schließlich seine Grenzen. Nochmal schalten. Ging nicht, kleinster Gang war schon drin. Da hörte ich wieder ein Surren. Der junge Rennradler, der mehr flog als fuhr, kam mir schon wieder von oben entgegen. Das gibt es doch nicht!
16 Minuten rum. Wann ist das vorbei? Eine Kurve, der Wald lichtet sich, eine „Wiese und ja, da stand er: mein Freund, der Stoppomat. Kein Bier, keine Wurst, kein Musikverein und keine Rede vom Landrat. Nur Der Stoppomat. Und ich hörte wie sich von hinten die zwei E-Bike-Fahrer näherten. Die Stempelkarte! Ich riss hektisch an der vom Schweiß völlig aufgeweichte Karte, sie löste sich auf und ich hatte plötzlich zwei Teile in den Händen. „Und?“, fragen die älteren Herren entspannt. „Probleme?“ Enttäuscht warf ich die zwei Teile ungestempelt in den dortigen Briefkasten, damit das Kampfgericht zumindest sah: ich war oben! In Bombenform, gewonnen mit Bestzeit in der Kategorie „verletzter Läufer, AK 55, mit Anfangsbuchstabe B“. Ich finde, eine Siegerehrung mit dem Landrat wäre das Mindeste gewesen.
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