Hirschau. 3500 Einwohner. Spitzberglauf. 13,1 km. 406 Höhenmeter.
Der erste Anstieg hinauf auf den Spitzberg hatte ich hinter mir, die 5 km Marke durchlaufen und jetzt ging es runter, runter, runter. Dabei fiel mir Bruce Tulloh ein. Der kauzige Brite hätte nun seine Arme weit ausgebreitet, wie ein Vogel seine Flügel und würde fliegen. Doch ich konnte das nicht – weder bergab laufen noch die Arme weit ausbreiten. Wie hätte das ausgesehen. Lächerlich. Schließlich hatte ich zwei Damen im Schlepptau: die Verfolgerinnen der Spitzenläuferin des Spitzberglaufes. Fast vierzig Jahre jünger als ich stürzten sie an mir vorbei den 1,5 Kilometer langen Waldweg hinunter. Kein Wunder, Knochen, die weh tun können, haben die noch nicht.
Hirschau ist ein kleines Dorf am Fuße des Spitzberg. Bei Wikipedia findet man unter Sportmöglichkeiten in Hirschau den Eintrag: „Der Baggersee ist zum Schwimmsport als Badesee freigegeben.“ Seit wann wird Baden dem Sport zugerechnet? Viel wichtiger sind Baggerseen doch zum Drum-herumlaufen. Die zweite Sportmöglichkeit, so müsste es unter Hirschau stehen: Laufen! Zumal es dort seit Jahrzehnten den fantastischen Spitzberglauf gibt.
Als ich am Hirschauen Sportplatz ankam, sah ich die ersten Läufer. Sie tippelten auf und ab, machten Kniehebeläufe und Steigerungen. Manche lehnten sich mit weit von sich gestreckten Armen an Straßenlaternen um ihre Waden zu Dehnen. Hier war richtig! Die meisten der 150 Starter hatten schon einen Startnummer, ich nicht. Also ging ich zuerst in die Turnhalle, vorbei an einer Kuchentheke, zur Nachmeldung. Sagte ich Kuchentheke? Es war ein Wahnsinn. Die Kuchentheke war so lang wie die ganze Turnhalle. Von vielen helfenden Händen selbst gebacken Kuchen. Ich war sowas von richtig. Laufen oder Kuchen essen, das war die Frage. Beides natürlich! Die Nachmeldung hingegen war nur ein kleiner Tisch – und in zwei Minuten erledigt.
Es war ja klar, der zweite Berganstieg der 13,1 Kilometer-Strecke hatte es in sich. Ich kenne die Strecke übrigens wie mein Wohnzimmer. An den zwei Verfolgerdamen hatte ich mich vorbeigekämpft, nun hatte ich einen älteren Herrn vor mir. (Mein Jahrgang, soweit ich das auf die Distanz beurteilen konnte). Sechs Kilometer noch, ein langer Berg, dann wellig, dann runter ins Dorf und ins Ziel. „Den Kerl lege ich mir zurecht“, dachte ich.
Seit vielen Jahren schon bekomme ich Einladungen für den Spitzberglauf. Schließlich begegnet mir der Hirschauer Lauftreff jeden Sonntag beim Dauerlaufen. Sie nennen sich Spitzbergläufer, haben extra ein T-Shirt entworfen und laufen andersrum. Also meine Runde, das Original (die Panoramarunde), nur in die falsche Richtung. Vielleicht liegt es daran, dass ich bis heute kein Spitzbergläufer-T-Shirt erhalten habe. Konsequenterweise verläuft die 13,1 Kilometerstrecke des Spitzberglaufes ebenso „falsch herum“.
Haben sie einmal versucht ihre Haus-und-Hof-Strecke andersherum zu laufen? Machen Sie das, gleich morgen. Ich kann nur warnen: Verlaufen sie sich nicht!
Nachdem ich den zweiten Anstieg hinter mir hatte, kam der Typ vor mir immer näher, und dann begann der zwei Kilometer lange, wellige Abschnitt, von dem ich sagen würde: Da kenne ich jeden Baum. Hunderte Kilometer bin ich dort im Training schon gelaufen. Jede noch so seichte Welle kenne ich. Nun aber andersrum! Die Kurven, sie sahen ganz anders aus, die Wellen kamen an ganz anderen Stellen und die Waldlichtungen? Noch nie gesehen! Es war ein Elend. Ich tat mir schwer, kam einfach nicht mehr näher.
Der Rest des Rennes ist schnell erzählt. Die letzten zwei Kilometer in Richtung Hirschau gehen bergab. Meine Gedanken kreisten um Bruce Tulloh, doch ich traute mich nicht, meine Arme auszubreiten. Ich kam keinen Meter näher mehr an meinen vor mir laufenden Rivalen. Im Ziel stellte sich herauf, er war viel jünger als ich. Aufregung umsonst. Es war toller Wettkampf. Danke, Hirschau!
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