„Was ist denn das“, spielt ich den Empörten, „nach dem Sport Alkohol?“ Kurz danach hielt ich ebenfalls ein Sektglas in der Hand und war zufrieden. 

Gnarrenburg/ Niedersachsen – 3100 Einwohner – Sommerzeitlauf – 10 km (keine HD) – 170 Teilnehmer. tsv-gnarrenburg.de/sommerzeitlauf

Als ich nach dem Zieleinlauf beim Sommerzeitlauf auf die Verlosung wartete, sah ich fünf Walkerinnen, die leicht, locker, gelöste mit gefüllten Sektgläser die Szenerie fröhlich kichernd kommentierten. „Was ist denn das?“, spielte ich den Empörten, „nach dem Sport Alkohol?“ Kurz danach hielt ich ebenfalls ein Sektglas in der Hand und war zufrieden. „Was gibt es denn bei der Tombola zu gewinnen?“, wollte ich von meinen neuen Freundinnen wissen. „Eine Schiffsreise“. – „Das gibt es doch nicht!“  Ohne lange zu zögern, warf ich gerade noch rechtzeitig meine Startnummer in die Lostrommel. Dann kehrte ich zu meinen Prosecco-Lerchen zurück. Die Stimmung passte beim Gnarrenburger Dorflauf. 

Dort wird übrigens auf einer Wendepunktstrecke gelaufen, und manche sagen: Wie langweilig ist das denn?! Für mich nicht. Wendepunktstrecken erinnern mich an die Tempodauerlauf-Strecke auf der Woody Mountain Road in Flagstaff, dem Höhentrainings-Mekka in Arizona/USA. Acht Kilometer rein in den Wald, acht Kilometer wieder zurück. Perfekt. Und wenn man „etwas draufhat“, kann man auf dem Rückweg so richtig aufdrehen. Und ja, ich hatte etwas drauf in Gnarrenburg. Gemessen an meiner Vorbereitung war das allerdings eine Sensation. Zwei Wochen vor Gnarrenburg war ich beim Engainer Skimarathon 44 Kilometer fünf (!) Stunden auf Skiern unterwegs (blöd) und eine Woche vorher einen Halbmarathon gelaufen. (Noch blöder). Andersherum, klar, wäre besser gewesen. Zuerst also einen Zehner, dann den Halbmarathon, dann die 44 Kilometer, das würde Sinn ergeben. Und was passierte? Der Zehner in Gnarrenburg war super klasse gut. (Liebe Freunde der Laufkunst, ihr kennt mich, in solchen Dingen übertreibe ich nie.) Und nein, ich war kein Einzelfall. Teresa, die Frauensiegerin von Gnarrenburg, war eine Woche vorher sogar 61 Kilometer Ultratrail gelaufen! In Wahrheit bin ich in meiner Vorbereitung also noch viel zu wenig gelaufen. Nicht auszudenken, was möglich gewesen wäre. Eine Revolution in Sachen Trainingsprinzipien bahnt sich doch da an. Ich sage mal so: Von Gnarrenberg wird man aus sportwissenschaftlicher Sicht noch lange reden. 

Anmeldung beim Dorflauf in Gnarrenburg

Aber zurück zur Stimmung. Keiner hatte wirklich geglaubt, dass ich anreise. Sie hielten meine Anmeldung dort für einen Aprilscherz, hatten vorsorglich aber – man weiß ja nie – die Nummer 101 reserviert. Die war nun in der Lostrommel für die Schiffsreise. „Wenn ich gewinne,“ flötete mir eine der Prosecco-Lerchen ins Ohr, „nehm ich dich mit.“ „Ich dich natürlich auch,“ gab ich zurück, was mit lautem Lachen und einem Tost mit allen anderen begleitet wurde. Ach es war herrlich. 

Herrlich auch der Zuruf eines Dorfbewohners beim Lauf: „Jetzt noch mit kurzen, schnellen Schritten den Berg hoch, dann hast Du es geschafft.“ Ich schaute nach vorne, sah eine lange Gerade, sah die Dorfkirche, sah den vor mir laufende Läufer, einen Berg aber, sah ich nicht. Ach liebe Gnarrenburger, zwischen Bremervörde und Ritterhude gibt es keine Berge. Und gemessen an der Weilnauer Rampe, geht es bei Euch auch beim kleinsten Anstieg bergab.

Jetzt aber zum  Highlight in Gnarrenburg: die Schiffsreise. Keine einzige Sekunde kam mir auch nur der leiseste Zweifel. Ich glaubte J-E-D-E-S Wort der Damen. Stutzig wurde ich erst, als die Verlosung zu Ende ging und die die Menschen ohne Auslosung des Hauptgewinns – die Schiffsreise – nach Hause gingen. Auch meine fünf Damen verließen kichernd den Platz, um ihren gewonnenen Gutschein (ein Getränke in der Dorfkneipe) einzulösen. 

Liebe Singvögel, es gab also überhaupt keine Schiffsreise zu gewinnen, doch ich halte Wort: Wenn ihr zum Erbe-Lauf nach Tübingen kommt, lade ich euch alle fünf zu einer Schiffsreise ein: einer Stocherkahnfahrt auf dem Neckar ein. Mit mir am Ruder, und klar, mit Prosecco.