In Kayh haben die Menschen keine Vorgärten, sondern Streuobstwiesen vor und hinter dem Haus. Es brummt, summt, Ziegen am Streckenrand, Bienenkästen unter Obstbäumen. Herrlich!

Kayh. 1633 Einwohner. Kirschblütenlauf. 14,2 / 7,4 Kilometer. 600 Teilnehmer. kayher-kirschblütenlauf.de

Beim Hauptlauf des Kirschblütenlaufes in Kayh stand tippelnd und tänzelnd ein junger Kerl aus meinem Verein am Start, der im letzten Jahr noch um die Qualifikation für die „Trails“ gekämpft hatte, das Ausscheidungsrennen der US Mannschaft für die Olympischen Spiele in Paris. „Was machst Du denn hier?“, fragte ich ihn. „Greifst Du wieder an?“- „Oh nein, ich versuche nur, mich über Wasser zu halten“, war seine Antwort.

Natürlich hatte ich mich nicht für den Hauptlauf angemeldet, sondern für den Jedermanns-Lauf: wunderbare sieben Kilometer. Ich verstand die Namensgebung ohnehin nicht. Warum heißt der Hauptlauf eigentlich Hauptlauf? Vielleicht, weil ein echter Läufer nur ein echter Läufer ist, wenn er beim Kirschblütenlauf in Kayh die „Vierzehn“ läuft. Weil nur ein „echter Läufer“ den harter Anstieg zu Beginn der Strecke überlebt und auch noch weiter laufen kann, hinein in den Schönbuch, immer runter und weiter runter bis zum Wendepunkt, um dann wieder hoch und wieder hoch zu laufen. Am Ende schließlich, stürzt sich der echte Läufer Hals über Kopf vom Schönbuchrand hinunter nach Kayh. Das also soll der Hauptlauf sein? Dabei wird die Läufergemeinde immer älter. Allein die steile Bergabpassage: ein hohes Verletzungsrisiko. Gerade im hohen, sorry, in unserm Alter! 

Beim Jedermann-Lauf liefen wir auf der Hauptstrasse mitten durchs Dorf, vorbei an der einen Kirche, der einen Kneipe und vielen Steuobstwiesen. Ja, in Kayh haben die Menschen keine Vorgärten, sondern eine Steuobstwiese vor und hinter ihrem Haus. Im Grunde ist das Dorf eine große Steuobstwiese mit ein paar Häusern dazwischen. Es brummt, summt und blüht, Ziegen am Streckenrand, Bienenkästen unter Obstbäumen. Herrlich! 

Auf dem leicht welligen Kurs des Jedermanns-Lauf wird gemeinsam mit dem Jugendlauf gestartet. Mitten in einer Horde junger Leute tobte ich also den ersten Kilometer durchs Dorf, als wäre am Dorfende das Ziel. Das heißt, die Jugend tobte, ich lief gemächlich (weil Wade). Hätten die jungen Leute mich gefragt, hätte ich gesagt: „Lauft langsamer!“ Doch als mich der Erste ansprach, war es zu spät. Denn erst oben, am Ende des Dorfes fragte einer mit hörbarer Schnappatmung: „Wie lange geht es noch hoch?“ – „Laut Streckenplan“, sagte ich, „geht es gleich runter.“  Und tatsächlich, es ging runter, allerdings nur für uns. Das Profil des Jugendlaufes hatte ich mir nicht angeschaut und leider wurden die Jugendlichen nicht nach rechts und damit bergab gelenkt, sondern gerade aus und weiter bergan. Ich winkte ihm zum Abschied zu und rief: „Irgendwann geht es immer runter. Ganz bestimmt.“ 

Für mich kehrte Ruhe ein. Das Läuferfeld war übersichtlich. 40 Meter vor mir entdeckte ich eine Läuferin, die inmitten von Streuobstwiesen lief. Bis auf vereinzelte Streckenposten war niemand zu sehen. Ich hätte natürlich aufschließen können, normalerweise ein Kinderspiel, doch meine Wade hatte etwas dagegen und in diesen Dingen wie Aufschließen, schneller Schritt oder Rhythmuswechsel hat meine Wade das letzte Wort. (ja, meine Wade kann sprechen). Ich lief langsam weiter, immer am Rande einer Krampfattacke, eines stechendes Schmerzes. Ich grübelte über das Wort  Jedermanns- Lauf. Wahrscheinlich heißt er deshalb so, weil auch Wadenkranke sieben Kilometer schaffen können. Und ich holte auf die Läuferin auf, bei jedem Hügel, kam näher, war dran, überholte sie sogar, nur um Bergab die Führung wieder herzugeben. (Also meine Wade gab die Führung wieder ab, ich wurde nicht gefragt). 

Es war ein Hin und Her, ein Hoch und Runter, so wie die Strecke oder wie der Wellengang im Meer. Ich versuchte jede Woge mitzunehmen, mal mit schnellen, mal mit langsamen Armzügen. Mit kurzen Schritten holte ich auf und bergab gab meine Wade, die keinen langen Schritt wollte, die Führung wieder ab. 

Und ich dachte: Um mich über Wasser zu halten, brauche ich keinen Hauptlauf, der Jedermanns-Lauf reicht auch.