Ich bin die fünf Kilometer gelaufen. Über zehn Kilometer war Peter am Start. Ich sage nur: Endbeschleunigung zum Fürchten.
Delmenhorst. 77.000 Einwohner. Niedersachsen. 1.Delmenhorster Citylauf. 10 / 5 Kilometer. 400 Teilnehmer.
Im Vorfeld einer Laufveranstaltung gibt es eine Vielzahl von Dingen zu erledigen, damit wir an der Startlinie stehen und durch eine Stadt, ein Dorf oder auch durch die Landschaft laufen dürfen. Genehmigungen sind einzuholen, Straßen zu sperren, die Anwohner wollen informiert sein, der Sanitätsdienst muss gebucht, für Moderation, Musik (an die Gema denken!) muss gesorgt sein, Sponsoren sind zu akquirieren, Helfer zum Aufbau, Abbau und an der Strecke sind anzusprechen, mit anderen Worten: so eine Orga ist eine wahre Meisterleistung. Und an jedem Wochenende geschieht das hundertfach. Egal, ob nur 80 Läuferinnen und Läufer am Start stehen oder viele tausend. Die Laufszene ist schon verrückt. Wenn ich also seit Monaten von Dorflauf zu Dorflauf tingele und von besonderen Laufveranstaltungen berichte, ist das nicht ganz richtig, denn im Grunde ist jeder Lauf etwas besonders. So viel erst einmal vorweg und danke an die Organisatoren.
Zuletzt kam ich aber in eine große Stadt, in der ein Lauf stattfand, der im Wesentlichen von zwei Wohngemeinschaften der „Lebenshilfe“ organisiert wurde, und das war dann für mich nochmal etwas ganz Besonderes: Zum 60-jährigen Jubiläum organisierte die Lebenshilfe in Delmenhorst den 1. Inklusions-Citylauf. Bitte an dieser Stelle keine Diskussion, ob Delmenhorst eine große Stadt ist. Da verlieren wir uns zu sehr im Klein-Klein. Bleiben wir beim Laufen. Angetrieben wurde die Organisation vom Lauftreff „Lebenshilfe – Wir bewegen uns“, der sich aus unterschiedlichen Wohngemeinschaften der Organisation für Menschen mit Beeinträchtigungen gebildet hat und diese zum Laufen bringt. Seit vielen Jahren ziehen sie von Lauf zu Lauf. In ihren Reihen ist Edith, die Vielstarterin und „Behindertensportlerin Niedersachsens 2009“. Oder da ist Peter, der für mich ein Grund ist, bei schlechter Form die Reise nach Delmenhorst immer nur gegen große innere Widerstände anzutreten, denn Peters Endbeschleunigung beim Dauerlauf ist berüchtigt. Und Vorsicht: An jedem Tag ist für Peter eine „Challenge“ angesagt. Mal über 15 Kilometer Laufen, mal zwei Stunden Radfahren, Peter ist immer aktiv. Aber seien wir ehrlich, man weiß heutzutage sowieso nie, ob man sich nicht gerade wieder inmitten einer „Challenge“ befindet. Die Uhr am Handgelenkt (oder was es auch immer ist) macht es möglich. Immer verbunden mit jemandem, der sich ebenfalls gerade in einer „Challenge“ befindet, der in diesem Moment Eure Bestzeit der vergangenen Woche jagt, ohne zu wissen, dass Ihr selbst diese Bestzeit gerade jagt und in diesem Moment (!) 30 Sekunden schneller gelaufen seid als damals. Und derjenige, der die alte Bestzeit gejagt hatte – nach dem Lauf nur kurz (wirklich sehr kurz) zufrieden niedersinkt, um mit Blick zur Uhr zu erfahren: es war zu langsam, ihr wart heute schon wieder schneller! Doch damit ist es nicht vorbei. Im Gegenteil, damit fängt es erst an. Die nächste Challenge, die nächste Bestzeit, irgendwo auf der Welt aufgestellt von Menschen, die wir gar nicht kennen (vielleicht von Trollen aus dem Reich des Internets?). Challenge um Challenge um Challenge.
Ich habe eine solche Uhr nicht. Dafür habe ich eine Wade, die oft schmerzt und damit für mich Challenge genug ist. Damit wäre ich wieder in Delmenhorst. Beim Citylauf, der auch als Dorflauf durchgehen könnte und eben von meinen Freunden der Lebenshilfe organisiert wurde. Ich bin dort die fünf Kilometer gelaufen. Über zehn Kilometer war Peter am Start. Ich sage nur: Endbeschleunigung zum Fürchten. Dem geht man besser aus dem Weg. Der Rundkurs führte durch die Fußgängerzone. Beim Start wurden wir von Gunda auf ihrem Elektro-Scooter die ersten Meter geleitet, Erich, der Freund von Edith, winkte mir in jeder Runde als Streckenposten zu und Henning, der vor Jahren mit Peter und Edith gelaufen war und die 10 Kilometer damals in 35 Minuten schaffte, überreichte mir im Ziel höchstpersönlich die Medaille. Die hatte ich mir aber auch redlich verdient. Denn unterwegs lieferte ich mir mit einem jungen Kerl von den Gemeinnützigen Werkstätten Oldenburg eine Challenge, da war die Endbeschleunigung von Peter ein leichtes Traben gegen. Meine Wade? Sprechen wir nicht davon. Laufen und das Leben ist am Ende dann doch immer eine Challenge. Irgendwie.
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