Kleinste Übersetzung, hohe Trittfrequenz – das liegt uns Läufern. Dann bei 15 Prozent Steigung raus aus dem Sattel und das Ding hochgewuchtet.
Kaum lag der steile Anstieg hinter mir, zog ein Rennradler an mir vorbei. „Du bist aber den Berg hochgeflogen,“ gab er mir als wohlwollendes Kompliment mit auf den Weg. Doch ich kam nicht einmal auf den Gedanken, an seinem Hinterrad zu bleiben. Er war einfach zu schnell. So, so…….“hochgeflogen“.
Brezel race in Stuttgart. Ein Rennrad-Event im Vorprogramm des Women’s Cycling Grand Prix. Hobbyfahrer dürfen vorher auf die Strecke. 110 Kilometer, 850 Höhenmeter. Rund um Stuttgart gibt es Hügel und giftige Anstiege, und an einem davon bin ich aber-so-was-von hochgeflogen. Kleinste Übersetzung, hohe Trittfrequenz, das liegt uns Läufer. Bei 15 Prozent Steigung dann raus dem Sattel und das Ding hochgewuchtet. Andere waren da schon am Schieben. Gut, die meisten von den 1500 Startern waren bereits 1350 im Ziel. Wir da hinten kämpften mit dem Besenwagen.
Schon am Start spürte ich den Unterschied zu einer Laufveranstaltung: Radfahrer sind hochgradig ambitioniert. Kaum war ich unterwegs, zogen Gruppe um Gruppe, Startblock um Startblock an mir vorbei. Ja, ich hatte die Startnummer eines verletzten Radler übernommen und war damit im falschen Block. Ok, dachte ich, kein Problem, denn gleich kommen die etwas Langsameren und ich finde meine Gruppe. Kaum zu Ende gedacht schoßen die Führenden des zweiten, dritten und vierten Startblocks heran. Zweierreihen, Hinterrad an Hinterrad, großes Blatt, kleines Ritzel. Nein, es ergaben sich keinerlei Möglichkeiten auch nur im Ansatz mitzufahren.
Vielleicht habe ich mich ein wenig überschätzt. Mindestens 25 km/h wurden gefordert – einfach deshalb, weil die Profi-Damen hinter den Hobbyisten starteten, und deren Zielankunft wurde 4:30 Stunden nach unserem Start erwartet. Daher also 25 km/h. Wer langsamer fährt, wird vom Besenwagen weggeräumt. Das wäre so, als würde man beim Berlin-Marathon die Freizeitläufer um 9:00 Uhr losschicken und um 10:30 Uhr die Profis starten. …….Die spinnen doch, die Radler!
Nach zwei Stunden Alleinfahrt – ich wurde zwar ständig überholt – fuhr aber trotzdem alleine – wurden die von hinten anrückenden Fahrerfelder dünner. Immer weniger Zweierreihen, nur noch kleine Grüppchen. So zogen sie vorbei: die Christians, Heikos und Claudias, wie ich an den Startnummern auf ihrem gekrümmten Rücken lesen konnte. Eine Ronja war auch dabei. Sie fuhr in einer Übersetzung, die ich wahrscheinlich niemals werde bewegen können. Geradezu zeitlupenartig fuhr sie mit g-a-n-z l-a-n-g-s-a-m-e-r Pedalumdrehung und größtem Krafteinsatz die Hügel hoch. Ich kann das deshalb so beschreiben, weil versuchte mitzufahren. Ich versuchte sogar eine Übersetzung zu wählen wie Ronja. Keine Chance, sie fuhr davon.
Nach drei Stunden Fahrtzeit war ich komplett alleine. Vor mir keine Ronja, kein Christian kein einziger Radler, Zuschauer sowieso nicht. Hinter mir ein Motorrad mit Blaulicht. Als es zu mir aufschloss, drosselte der Polizist das Tempo. Ich schaute ihn an und fragte: „Ich bin der Letzte, oder?“ Er lachte. „Nein, da kommen noch ein paar. Zieht sich etwas in die Länge, fünf, sechs Kilometer.“ Bei einem 25-iger Schnitt sind das keine 15 Minuten. 15 Minuten also bis zum Besenwagen.
In der vierten Stunde holte ich tatsächlich ein paar wenige Radler ein. Dann kam meine Stunde, mein Berg. Wobei die Stunde in Wirklichkeit in ein paar Minuten vorbei war. Und alle, wirklich alle, die ich hinauf überholte, zogen auf dem Weg hinunter nach Stuttgart wieder an mir vorbei. Als ich ich über die Ziellinie hüstelte, wurde die Zielankunft für die Profi-Damen schon hergerichtet. Der Besenwagen war nicht mehr weit entfernt. Übrigens: beim Berlin Marathon bin ich jetzt unbedingt für eine Startblockänderung: die Topathleten starten da jetzt auch zum Schluss. Ich sage allen Teilnehmern nur: toi, toi, toi.
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