Hühner, Hügel, Kauzige Briten: Wir sitzen am Lagerfeuer und ich komme ins Erzählen. Wir können auch gemeinsam Laufen, ich erzähle trotzdem.

Was war das in der Juli- Ausgabe eine schöne Geschichte über die britische Läuferlegende Bruce Tulloh und seinen Trans-Amerika-Lauf. Tulloh unterrichtete zeitweise in Nairobi an einer britischen Schule. Er kannte Kenia also sehr gut, und so reisten wir – meine Frau und ich – mit ihm bei unserer ersten Kenia Reise durchs Land. Auf dieser Reise lernte ich den etwas kauzig Briten gut kennen. In Erinnerung geblieben sind mir seine vielen Geschichten, sein Barfußlaufen und ganz wichtig: das richtige Bergab-Laufen. „Du musst die Arme weit ausbreiten und wie ein Vogel fliegen“. Genau so stürzte er sich jeden Berg hinunter. Ich war schon immer ein schlechter Crossläufer, und es wollte nie so richtig funktionieren. Aber wir hatten unsere Spaß, wenn der alte Tulloh bei einem Dauerlauf an der ganzen Trainingsgruppe vorbeiflog und vor lauter Freude kreischte, als säße er im Kettenkarussell. Wohlgemerkt, der Kerl war damals, in den 1990-iger Jahren, schon uralt. (also so alt, wie ich heute) Aber Geschichten konnte er erzählen! 

Ach, da fällt mir die Hühnergeschichte ein: sieben Hühner und kein Hahn. Ja, die würde Tulloh auch gefallen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, man sollte Hühnern keinen Namen geben, und wenn, dann nicht „Dieter“. Doch es gab mal einmal einen Hahn namens Dieter. Völlig unpassend, wie ich finde, aber das nur am Rande. Die Geschichte dazu muss warten. Stattdessen lieber einen Satz zu Bill Baillie. Wie ich den komme? Keine Ahnung. Auf jeden Fall wurde er vom berühmten Langstreckentrainer Arthur Lydiards trainiert, dem Erfinder des „long jog“, des langen, langsamen Dauerlaufs. Auch Mittelstreckenläufer absolvieren bei ihm bis zu zwei Stunden langes, langsames Laufen in hügeligem Gelände. Mir kam das hügelige Laufen sehr entgegen, denn auf der schwäbischen Alb, wo ich aufwuchs, ist es nun mal hügelig. Deshalb reiste ich nach New Zealand und traf Bill Baillie – in jeder Hinsicht eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Nach seiner Karriere unternahm er mit seiner Familie alle vier Jahre eine Weltreise zu den Olympischen Spielen. Er verkaufte Haus und Firma und war über Monate unterwegs, um nach seiner Rückkehr wieder von vorne zu beginnen. Als ich ihn in den 1990 Iger Jahren traf, gehörte ihm ein Taxiunternehmen. Die Spiele in Atlanta standen an. Aber, so beschwichtige er, diesmal würde er nicht verkaufen, seine Kinder hätten übernommen. Für die letzte große Schlagzeile sorgte er, als er einen flüchtenden Taxigast, der nicht bezahlen wollte, einfach laufend einholte und ihm das Geld abnahm. Die Schlagzeile „Bill Baillie ist zurück“. Er war damals über 70.

Legendär war sein Stundenweltrekord, aufgestellt in Auckland. Damals, 1963, war es windig und regnerisch und kaum Zuschauer im Stadion. Einzig das Radio berichtete. Ich liebe die Radio-Live-Berichterstattung! Unvergessen die Radioübertragung des Basketballfinales der Europameisterschaften 1993. Deutschland gegen Russland. Ich war im Auto unterwegs und musste in den Schlussminuten auf dem Standstreifen anhalten, da ich die Spannung nicht mehr aushielt. So ähnlich muss es den Zuhörern 1963 in Auckland gegangen sein. Bill Baillie war auf dem Weg zum Weltrekord. Mit jeder Runde zeichnete klarer eine Sensation ab, sodass immer mehr Zuschauer herbeiströmten und das Stadion am Ende voll besetzt war. Ein Fest! 

Bitte jetzt keine Vergleiche zur Trostlosigkeit der diesjährigen Deutschen Meisterschaften im Berliner Olympiastadion, in dem sich gerade mal 5000 Zuschauer verloren. 14 Sportarten wurden in Meisterschaftstagen in Berlin zusammengefasst und in kleinen Minutenschnipseln im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen. Kein Popularitätsgewinn. Es sind Tiefschläge, von denen sich die Leichtathletik nicht mehr erholt. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.