Ich kann es nicht lassen. Es gibt doch nichts schöneres als den sportlichen Wettstreit, deshalb fordere ich mich selbst in diesem Jahr jeden Monat mit einem schnellen 5-Kilometer-Lauf.
Nordkirchen. Dorflauf. Fünf Kilometer. Das konnte ich mir Ende April anlässlich eines Theater Gastspiels in besagten Nordkirchen einfach nicht entgehen lassen. Zu Nordkirchen brauche ich hoffentlich nicht viel erzählen. Nordkirchen, liebe Freunde der Laufkunst, sollte weithin bekannt sein, zumindest unter den Schlossfetischisten unter uns. Die Geschichte des Schlosses und damit auch des Dorfes liest sich übrigens aus finanzieller Sicht wie die Zeiten meiner 5-Kilometer-Challenge, erinnert also eine Achterbahnfahrt: mal auf, mal ab. Die unterschiedlichen Schlossherren ließen abreißen, umbauen, wiederherstellen, es wurde phasenweise geklotzt und den Handwerkern im Dorf ging es gut. Dann kam die Pest, ein Krieg oder Unvermögen, und das Schloss wurde in letzter Sekunde vor dem finanziellen Ruin gerettet, und damit war das Dorf fast pleite. In heutigen Zeiten wird das ehrwürdige Gebäude als Akademie der Finanzbehörden des Landes Nordrhein Westfalen genutzt. Aus der teilweise prekären finanziellen Historie betrachtet, die absolut richtige Wahl. Schließlich kann die öffentliche Hand mit Geldern umgehen. (Mit Ausnahme von Flughäfen, Bahnhöfen, Brücken und der Überwachung von Aktiengesellschaften).
In Nordkirchen gibt es also ein Schloss und vor allem um den sensationellen Schlosspark, vorbildlich gepflegt und, das Beste, für Gäste frei zugänglich. Wirklich eine Reise wert, vor allem in Verbindung mit einem Start beim dort stattfindenden Dorflaufes. Der ist ein wirkliches Laufspektakel. Gefühlt sind alle Dorfbewohner auf den Beinen, am Streckenrand unter anderem zwei Damen auf dem Sofa, mit Beistelltisch und Sekt. Der Kegelclub prostet an Stehtischen mit großen Bierkrügen jedem einzelnen Läufer zu, die Schallmeienkapelle macht 200 Meter vor dem Ziel nochmals so richtig Dampf. Die Dorflauflegende Josef (100 Kilometer in 7:43 Stunden!!), ganz nebenbei über Jahrzehnte der schnellste Postbote der Region, sorgte höchstselbst für die Startaufstellung. „Nicht drängeln, keine Ellbogen, fair bleiben“.
An der Startlinie stehend sah ich ihn sofort: Antonio Rodrigues. Grau meliertes Haar (genau wie ich), schlank und austrainiert (viel mehr als ich) und flache, carbongefederte Laufschuhe (viel, viel, viel mehr als ich). Portugiese, wie sich später herausstellte. Ein kurzer Gruß, und mir war klar: das ist mein Mann. Optisch eindeutig meine Altersklasse. Und er tobte direkt nach dem Startschuss mit der Spitzengruppe auf und davon. Ich ließ ihn ziehen (zunächst). Kurz vor Schluss sah ich ihn wieder, kam näher, sammelte ihn ein, (Renneinteilung ist die halbe Miete), lief vorbei und weiter und weg. Im Ziel stelle sich heraus: Er war gar nicht meine Altersklasse – er war älter.
Die ganze verdammte Renneinteilung umsonst. Mit seinen 60 Jahren lief er herausragend: 17:58 Minuten. Verrückt! Ich konnte ihn gerade noch in Schach halten. 17:41 Minuten. Gewonnen hatte ein junger Kerl (Gott sei Dank), Jens Kassebeer, in 16:12 Minuten. Antonio Rodrigues war in seiner Jugend Spitzenläufer über 3000 Hindernis. Mit den Castro Brüdern lief er, mit Antonio Leitao, Carlo Lopes und Rosa Mota. (bitte googeln, wenn Ihnen die Namen nichts sagen) Was denn die Castro Zwillinge so treiben würden, fragte ich. „Einer ist nach Angola ausgewandert. Macht überhaupt nichts mehr“, und Rodrigues zeigte mit einer kreisrunde Handbewegung um die Hüfte, wohin das bei Castro geführt hätte. „Ich war auch mal dick“, erzählte er weiter. „So Richtig! (Wieder die kreisrunde Handbewegung) 14 Jahre keinen Sport mehr. Aber jetzt bin ich wieder fit.“
Fit?
Ach egal, falsche Altersklasse. Muss sich Chefredakteur Martin Grüning drum kümmern.
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