Achtung! Dieser Text wird dein Training revolutionieren – das behauptet Dieter Baumann. Und der muss es mit seiner Erfahrung ja eigentlich wissen. Aber lies einfach selbst
Fast an jedem Wochenende wird derzeit ein Rekord gelaufen. Grenzen scheint es nicht mehr zu geben. Klar, die neuen Laufschuhe machen vieles möglich, doch scheinbar wird jetzt auch anders trainiert. „Double Threshold“ ist in aller Munde. Vereinfacht gesagt machen Läufer zwei Tempoeinheiten an einem Tag. Vormittags 1000-m-Intervalle, nachmittags einen zügigen Dauerlauf. Neu ist das nicht. Auch vor dreißig Jahren gab es Athleten, die abends kurze Bergläufe machten und am nächsten Tag in der Früh ein langes Intervall-Programm. Wir nannten das „Doppelschlag“. Zugegeben, „Double Threshold“ klingt schöner, weicher, klingt nach Erotik. Ich behaupte mal, viele Läufer machten vor dreißig Jahren sogar „Triple Threshold“. Nach einem Doppelschlag folgte ein langer Dauerlauf, der in Wirklichkeit ein Tempodauerlauf war. Im Trainingsheft stand aber „ruhiger langer Lauf“, es durfte ja keiner mitbekommen. Im Laufe der Jahrzehnte verblassten die Erinnerungen an alle Triple Thresholds und bei mir blieben nur die Ruhetage im Gedächtnis, an außergewöhnliche Dinge erinnert man sich einfach besser.
Nun endlich aber zum Trainingstipp vom Profi: Als ich im letzten Jahr, es war ein Dienstagabend, durch Tübingen fuhr, kam mir ein Läufer entgegen, den ich an seinem federnden Tippelschritt sofort erkannte. Es war einer unser Altersklassen-Champions der AK80. Nein, ich wunderte mich nicht, ihn noch spät am Abend laufend in der Stadt zu treffen. Dienstags ist Tempolauftag bei unseren Vereins-Silberpfeilen. Wahrscheinlich hängte er zum Auslaufen noch eine Schleife dran. Erst am Vortag hatte ich ihn beim Vorbereitungstraining für den Tübinger Erbe-Lauf getroffen. Dort betreut er als Laufbegleiter immer die vierte Gruppe. Die fünfte, die Laufeinsteiger – Laufen und Gehen im Wechsel –, übernehme immer ich. „Gehen fällt mir schwer“, sagte er damals und tippelte mit seiner Gruppe weg. Manchmal, wenn ihm das Lauftempo der Gruppe zu langsam war (nochmals zur Erinnerung: AK 80), hängte er noch ein paar Intervallläufe im Stadion an – oder: Er legte für das Sportabzeichen noch den Ausdauerlauf aufs Parkett. Sportabzeichen hin, Intervallläufe her, zur Auslastung folgen am nächsten Tag immer die Tempoläufe der Silberpfeile. An den Wochenenden, genauer: an jedem Wochenende, folgt ein Wettkampf. Allerdings trieb er es für mein Empfinden in diesem Winter zu weit. Zur Vorbereitung auf die Deutsche Marathon-Meisterschaft probierte er sich als Sprinter. Tatsächlich. Er lief in der Halle 400 und 800 Meter, eine Woche später war er bei einem 50-km-Lauf am Start, am darauffolgenden Wochenende wieder über 800 Meter, dann wieder ein Halbmarathon. Zur Erinnerung: Als ich meinen einzigen Marathon vorbereitete und acht Wochen vorher in der Halle 3000 Meter lief, riefen die Kritiker: „Hinten ist die Ente fett!“ Was frei übersetzt so viel bedeutet wie: Eine Marathonvorbereitung mit zu schnellen Läufen wird nichts. Was soll ich sagen? Die Kritiker behielten recht.
Bei Altersklassenläufern ist das natürlich anders. Aus meiner Sicht dürfen sie alles, denn es geht schließlich nicht um Zeiten (also fast nicht) und auch nicht um Medaillen (zumindest bei den meisten nicht) – es geht darum, unterwegs zu sein. Damit meine ich weniger das Laufen an sich, ich meine die Interaktion um das Laufen herum. Das gemeinsame Training, das soziale Miteinander, sich verabreden, treffen, ein gemeinsames Ziel, die Vorbereitung, Wettkampffahrten. Da spielt es keine Rolle, ob es an einem Wochenende 400 Meter sind und eine Woche später ein Ultralauf. „So what?“, könnte ich fragen. Frei nach dem Motto „Double Threshold“, „Triple Ruhetag“? Hauptsache, gemeinsam. Das bringt vielleicht nicht immer gute Zeiten, aber immer eine gute Zeit.
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