Bei einem Dorflauf läuft man überhaupt nicht durchs Dorf. Allenfalls startet man am Rand des Dorfes, um hinaus in den Wald oder aufs Feld zu laufen. Oftmals läuft man sogar über das Feld.
Trochtelfingen. 6400 Einwohner. Schwäbische Alb. Alb Gold Winterlaufserie. 10 Kilometer. www.alb-gold-cup.de
Unmittelbar nach meinem Zieleinlauf vernahm ich die ersten Stimmen, es seinen keine echten 10 Kilometer gewesen. Alle, mit denen ich sprach, verwiesen auf ihre Formel-1- GPS-Stopp-Dinger. Wie jetzt?, dachte ich. Auf meiner Armbanduhr, ausgestattet mit allem, was ein Läufer braucht – einem kleinen und einem großen Zeiger, dazu ein in schweizerischer Präzision tickender Sekundenzeiger -, auf dieser Uhr, war nichts von einer unechten Zehn zu sehen. Was man auf meiner Uhr sah: Beim Start hatte sie exakt 14:30 Uhr angezeigt und der Sekundenzeiger ruckelte auf 15 Sekunden als ich über die Zeitmessmatte lief. Um exakt 15:09 Uhr und 36 Sekunden war ich im Ziel.
Jetzt mal ehrlich, was heißt eigentlich echte Zehn? Ich war doch beim Start dabei. Ich stand wie die vielen andern dort und lauschte dem Moderator. Er hat es ja deutlich genug gesagt, als er die Streckenführung beschrieb. „Für die zehn Kilometer müsst ihr eine kleine Runde und dann zwei großen Runden laufen.“ Also bitte, eindeutiger geht es nicht. Von 10 Kilometer war die Rede. Von einer kleinen und zwei großen Runden. Nichts, aber auch gar nichts sagte er von 9,6 Kilometern.
Trochtelfingen. Das klingt wie Laufen: leicht und beschwingt. Ja, doch, Trochtelfingen ist eine Stadt, kein Dorf, und es waren über 500 Läufer am Start. Alles andere als ein Dorflauf, könnte man annehmen. Doch die Alb Gold Winterlaufserie, bestehend aus vier Läufen mit dem Finale in Trochtelfingen, erfüllt zwei wichtige Kriterien, die ich aus meinen Feldstudien darüber, was ein Dorflauf zu Dorflaufen macht, herausgearbeitet habe.
Erstens: Bei einem Dorflauf läuft man überhaupt nicht durchs Dorf. Allenfalls startet man am Rand des Dorfes, um dann hinaus in den Wald oder aufs Feld zu laufen. Oftmals läuft man sogar über das Feld. Zweitens: die Strecke ist sehr hügelig. Trochtelfingen erfüllte beide Kriterien. Die wellige Strecke führte entlang von Feldern und über Wiesen. Sie alle kennen mich: ich mag das. Es ist eine wirklich schöne Strecke, Schwäbische Alb eben, da fühlte ich mich sehr zu Hause.
Auf dem vier Kilometer langen Rundkurs ging es entweder hoch oder runter, flach war es nie. Am höchsten Punkt liefen wir an ein paar Häusern vorbei. (Wir streiften Trochtelfingen) In einem Garten zwei Boote – ein Kanadier und ein Ruderboot. Wir liefen auf den Scheitelpunkt des Anstieges zu, in einer lang gezogenen Linkskurve. Das Läuferfeld hatte sich weit auseinandergezogen: bunte T-Shirts, die sich wie eine bunte Perlenschnur auf einem schwarz geteerten Feldweg abhoben, umrahmt von grünen Wiese. Am Streckenrand zwei Boote: ein Kanadier und ein Ruderboot. Es sah aus wie gemalt.
Beim Getränkestand hörte ich dann die Gerüchte von der unechten Zehn, tauchte ein in die immer größer werdende Zahl der Finisher. Einer meinte etwas gedämpft: „ Bin ja schon 69. Meine Bestzeit war es nicht.“ Ich klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Für uns gibt es kein zu langsam. Nur ein gar nicht. Alle, die gar nicht hier waren, müssen sich Gedanken machen, wir aber sind die Elite!“ Er lachte, zeigte auf meine Uhr und meinte: „Bei Dir spielt die Zeit wohl keine Rolle mehr?“ – „Hallo?“, sagte ich entrüstet. „Das ist das neuste Modell aus dem Hause Zuckerberg“. Ich hielt ihm die Uhr vor die Nase. „Das Ding kann wirklich alles. Bin mit allen Satelliten, die um die Erde kreisen, gleichzeitig verbunden, mein Freund Marc kann während des Laufes meinen Kalorienverbrauch mitverfolgen, und das Beste: Diese Uhr rechnet die Höhenmeter in Kilometer um. Dazu werden die Kräfte des Gegenwindes über Sensoren gemessen und bei der Laufzeit abgezogen. Und wir hatten heute Gegenwind. Richtig Gegenwind, auf dem ganzen Rundkurs. Immer! Meine Zeit? Moment.“ Ich schaute sehr lange auf die Uhr. „39:21 Minuten. Bestzeit über 10 Kilometer. So gut wie noch nie in 2024!“
Der Kurs meines ersten offiziellen Halbmarathons stimmte gegenüber aller Hobby-GPS-Messungen auch nicht. Laut offiziellem Tracking des Veranstalters stand ich da nun, bei 2h0m2s auf dem Tableu.
Ich war sehr froh, dass meine Uhr die 21,1km geographisch und zeitlich bereits früher als vollständig anerkannt hat und ich die 2h-Marke geknackt habe. Laut Apple.
🙂