Ich fühlte mich auf einmal frisch. Schob mich heran. Zehn Meter, fünf Meter – leicht versetzt (nichts Windschatten!). Dann flog ich vorbei

Es war eine lange Gerade, leichter Gegenwind, und ich war vorne. Plötzlich schob sich der Kerl im großen Blatt und kleinstes Ritzel an mir vorbei. Ich hingegen, Läufer durch und durch, trat mit hoher Frequenz in die Pedale. Nein, heute kommt kein weiterer Bericht eines Dorflaufes. Meine Plantarfaszie streikt, und wenn das Ding streikt, streikt im Grunde alles unterhalb des Knies. So fahre ich eben Rennrad. Bitte kein Bedauern, das ist ein großer Spaß für mich. Es wird, der Plantarfaszie sei Dank, ein herrlicher Sommer. 

Doch lassen Sie mich die Geschichte meiner Ausfahrt vom Ende her erzählen. Denn am Ende, es waren keine fünf Minuten später, schob er sich abermals von hinten an mir vorbei und sagte: „Du kannst aber Rennrad fahren.“ Die Windgeräusche waren stark, mein Hörvermögen eher schwach, denn als ich ihn daraufhin anlächelte, schimpfte er auf mich ein: „Ich hab Dich doch schon lange gesehen, dann ohne mich zu fragen, hinter mir im Windschatten fahren und noch an mir vorbeigehen…….“ Die Stimmlage war ganz und gar nicht freundlich. Den Begrüßungssatz hatte ich wohl ganz falsch verstanden. Sehr wahrscheinlich hatte er gesagt: „Du kannst auch nicht Rennrad fahren.“ Er schimpfte und fauchte und fuhr von dannen.

Was war passiert? Im Grunde nichts. Zwei Rennradler waren auf einem landwirtschaftlichen Weg zwischen Hirschau und Tübingen unterwegs. Es herrschte leichter Gegenwind. Ich war vorne. Dann plötzlich, schob sich der Kerl an mir vorbei. Großes Blatt, kleines Ritzel. Zunächst ließ ich ihn fahren. Ich war kurz vor Zuhause und hatte für diese Ausfahrt meine Körner verschossen. Nach 300 Meter kam eine Links-rechts-Kombination. Ich wußte, der gute Mann muss abbremsen. Unmittelbar nach der Kurvenkombination folgte eine ein Kilometer lange Gerade durch ein Industriegebiet. In meinem früherer Läuferleben, als ich Rennrad fahren noch sehr ernsthaft als Ersatztraining protokolierte, war das immer meine Schlussgerade. Ein Kilometer Highspeed zum Schluss, dann lockeres Ausfahren bis Tübingen. So war das damals. 

Und jetzt mal Hand aufs Herz. Was eine wunderbare Rennsituation. Sein Vorsprung war nach der Bremsaktion auf 15 Meter  geschmolzen, und so bog ein Großes-Blatt-kleines Ritzel-Möchtegern auf MEINE Schlussgerade. 

Also gut, dachte ich, schaltete ebenfalls ins große Blatt (zum ersten Mal auf dieser Ausfahrt!) und nahm die Verfolgung auf. Wir wurden schneller. Natürlich hatte der Kerl mein Ansinnen erkannt und ebenfalls beschleunigt. Wackelte er jetzt stärker mit dem Oberkörper? Oh ja! Und war da nicht ein leichtes Vibrieren in seinen Beinen. Tja, so eine große Übersetzung muss erst einmal bewegt werden. 

Ich hingegen fühlten ich auf einmal frisch. Erhöhte geradezu spielerisch die Frequenz. Schob mich heran. 10 Meter, fünf Meter – alles leicht versetzt (nichts Windschatten !). Dann flog ich links an ihm vorbei. Fliegen ist vielleicht etwas übertreben, aber wir fuhren nicht gerade langsam. Ich spreche da für mich, gehe aber davon aus, dass auch er nicht mehr nur mit der Nasenatmung unterwegs war. Ich schob mich also im Highspeed an ihm vorbei, blieb, weil das Überholen lange dauerte, in meiner Spur, da sprintete er rechts an mir vorbei. In diesem Moment war die Kilometer-Gerade zu Ende. Es folgte eine lange Linkskurve. Ich richtete mich auf, Puls 190, eine wunderbare Ausfahrt ging mit diesem Schlussspurt zu Ende. Jetzt Ausfahren. 

Keine hundert Meter später nahm mein neuer Freund (ich dachte wirklich, wir wären durch diesen einen Kilometer Freunde geworden) den Radweg. Ich hingegen kürze über die Hauptstrasse ab und war deshalb ein paar Hundert Meter später wieder vor ihm. Er überholte mich erneut und fauchte mich wie oben beschrieben an. Nun, da ich nochmals darüber nachdenke, bin ich mir sicher, mich völlig verhört zu haben. In Wirklichkeit sagte er: „Du kannst auf dem Rennrad gar nichts und wenn ich Dich überhole, wage es erst gar nicht in meinen Windschatten zu gehen und gehe niemals an mir vorbei. Niemals! Du erbärmlicher Anfänger.“ Ach, es wird ein herrlicher Sommer.